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Im Wald

Freitag Morgen.

Das Whiteboard ist voll mit Dingen, die ich heute tun will, tun sollte. Freitag ist mein daheim-Tag. Der Tag in der Woche, an dem ich mich ganz auf mein Schreibangebot konzentrieren kann. Mein Büro- und Fokustag sozusagen. Es ist der Tag in der Woche, an dem ich am leichtesten aufstehen kann. Ich liebe es, gemütlich mit einem Kaffee aus dem Mokkakännchen in den Tag zu starten.

So auch heute.

Alles easy.

Oder doch nicht? In mir ist eine Unruhe wie seit langer Zeit nicht. Die Energie einer arbeits- und gefühlsintensiven Woche steckt mir in den Knochen, in den Muskeln, wahrscheinlich sogar auch ein bisschen in meiner Seele. Keine Ruhe in Sicht.

Das vollgeschriebene Whiteboard zeigt's deutlich: Ich muss - ich muss - ich muss.

Aber weisch was?

Einen Scheiss muss ich!

Um kurz nach halb Acht mach ich mich auf in den Wald. Ein kühler, frischer Herbstmorgen eröffnet sich mir. Wie kraftvoll, so dynamisch in den Wald hochzugehen.

Dann in den Wald rein. Den Weg entlang.

Bald schon weg vom Weg.

Über weichen Waldboden, Laub, Ästchen. Pilze spriessen.

Ich werde langsamer. Tauch ein. Lausche. Fühle. Atme. Weine. Lasse los. Atme. Bin.

Weitergehen. Langsam. Beruhigend.


Mitten in diese magische Ruhe dringt lautes Getrampel an mein Ohr.

Ein Feldhase rennt in gestrecktem Galopp an mir vorbei. Ein zweiter rennt hinter ihm her; meine ich erst.

Doch dann erkenne ich, dass da mitnichten ein Hase hinter dem Hasen her rennt, sondern ein Fuchs.

Wow! So nah hab ich seit Ewigkeiten keinen Fuchs mehr gesehen.

Der Fuchs sieht mich, bleibt stehen. Ich auch. Zwei Augenblicke. Ein kurzer Schauer - was, wenn er Tollwut hat? Mich angreift? Kindheitserinnerungen an vergiftete Köder blitzen auf.

Der Fuchs wendet sich ab, trottet davon.

Der Hase ist schon lange weg. Hab ich ihm das Leben gerettet? Oder dem Fuchs das Frühstück vermiest? Oder zwei Freunde beim morgendlichen Wettstreit unterbrochen?

Oder haben die beiden mir eine Situation aus meinem Leben vorgespielt? Einer rennt um sein Leben, der andere hetzt, um zu überleben. Ich bin der Hase. Und ich bin auch der Fuchs.

Rennen. Hetzen. Überleben.

Heute stehe ich still.

Atme.



 
 
 

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